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Allgemeine Einführung
von Professor Brian J. Morris, Universität Sydney (Australien)

Die Frage, ob Jungen routinemäßig beschnitten werden sollen, war immer schon ein emotionales und oft irrationales Thema. Dies mag zum Teil daran liegen, daß von dem Eingriff ein Geschlechtsorgan betroffen ist, im Gegensatz etwa zum Ohrlochstechen. In den letzten beiden Jahrzehnte neigten Mediziner [in Amerika und Australien, Anm. d. ü.] dazu, Eltern von einer Beschneidung ihrer Jungen in Babyalter eher abzuraten. Es gab sogar Berichte, nach denen ärzte junge Mütter extrem unter Druck setzten, um sie von ihrem - überwiegend religiös bedingten - Wunsch nach der Beschneidung ihres Sohnes abzubringen. Dies steht in diametralen Gegensatz zur Situation von vor einigen Jahren, als alle männlichen Babys in Australien routinemäßig beschnitten wurden. In den letzten 20 Jahren ist jedoch der Anteil beschnittener Jungen auf bis zu 10 % gefallen.

Dieser Trend scheint sich in jüngster Zeit umzukehren. In Kenntnis des zunehmenden Umfangs medizinischer und wissenschaftlicher Fakten über die Vorteile einer Beschneidung im Säuglingsalter formulierte eine Arbeitsgruppe des Australien College of Paediatrics im August 1992 eine überarbeitete Stellungnahme, die im Mai 1996 vom College offiziell übernommen wurde [2]. In diesem Dokument werden ärzte nunmehr dringend aufgefordert, alle Eltern über die medizinischen Vorteile einer Beschneidung ihres Jungen im Säuglingsalter aufzuklären. ähnliche Empfehlungen wurden kürzlich von der Canadian Paediatric Society erlassen, nachdem dort ebenfalls eine Bewertung der verfügbaren wissenschaftlichen Literatur erfolgt war, allerdings mit dem Ergebnis, daß die Vor- und Nachteile eher ausgewogen sind. Wie weiter unten noch zu erläutern sein wird, hat sich das American College of Pediatrics sehr viel stärker in Richtung einer Empfehlung der routinemäßigen Beschneidung ausgesprochen.

In diesem Artikel möchte ich mich im wesentlichen auf eine Darstellung von Vorteilen beschränken, die die Beschneidung im Hinblick auf übertragbare Krankheiten, einschließlich der Geschlechtskrankheiten bietet. Ich sollte vielleicht hinzufügen, daß ich als Hochschulangehöriger an der Universität von Sydney arbeite und dort Medizinstudenten und andere Hochschüler unterrichte, die in der Medizin forschen, z. B. im Bereich der Virologie von Krebserkrankungen der Geschlechtsorgane. Ich bin weder jüdischen Glaubens noch praktisch tätiger Arzt oder Jurist. Daher bin ich weder durch religiöse noch durch medizinische oder juristische Interessen voreingenommen und somit in der Lage, das Thema rein rational zu betrachten.

Das nachgewiesen erhöhte Infektionsrisiko nicht beschnittener Jungen und Männer ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, daß die Vorhaut eine große Oberfläche bildet, deren innen liegende feuchte Schleimhaut nur eine dünne Hautbarriere darstellt, während der beschnittene Penis eine trockene, weit widerstandsfähigere Oberfläche hat. So können beim Unbeschnittenen während des Geschlechtsverkehrs leicht mikroskopisch kleine Verletzungen entstehen, und das warme, feuchte Milieu unter der Vorhaut fördert zudem das Wachstum von Mikro-Organismen.

In den 50er und 60er Jahren wurden in den USA und Australien 90 % aller Jungen bald nach der Geburt beschnitten. Damals wurden als größte Vorteile für das gesamte Leben die bessere Hygiene, die Vermeidung einer Phimose (Vorhautverengung) und die Prävention von Peniskrebs angesehen. Der Trend, nicht mehr zu beschneiden, begann vor etwa 20 Jahren, nachdem das American Academy of Pediatrics Committee for the Newborn im Jahre 1971 erklärt hatte, es bestünden "keine wirklichen medizinischen Gründe für eine Beschneidung". Dies wurde 1975 abgeändert in "keine zwingenden medizinischen Gründe...", in der Verlautbarung von 1983 beibehalten, dann aber 1989 entscheidend geändert in "Neue Erkenntnisse geben Hinweise auf mögliche medizinische Vorteile..." [49].

Dr. Edgar Schoen, Vorsitzender der Task Force on Circumcision of the American Academy of Pediatrics, hat erklärt, daß die Vorteile der routinemäßigen Beschneidung männlicher Säuglinge als vorbeugende Maßnahme die Risiken bei weitem überwiegen [48]. Im Zeitraum von 1989-92 gab es eine Zunahme von Beschneidungen außerhalb des Säuglingsalters, und Dr. Schoen betonte damals, daß aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse ein Zusammenhang zwischen Nicht-Beschnittensein und Harnwegsinfekten nicht mehr nur "vermutet" werden müsse, sondern inzwischen "sicher" sei. Etwa zur gleichen Zeit wurden weitere wissenschaftliche Studien über Zusammenhänge mit anderen Infektionen, einschließlich HIV veröffentlicht. Daraus schließt Dr. Schoen, "Die Beschneidung von Neugeborenen kann man als vorbeugende Maßnahme betrachten, ähnlich wie Impfungen, bei denen Nebenwirkungen und Komplikationen zwar unmittelbar auftreten können, normalerweise aber zu vernachlässigen sind, während die Vorteile dagegen für das ganze Leben bestehen bleiben" [48].

Diese Vorteile umfassen: Abnahme körperlicher Probleme wie Phimose [36], Reduktion von Balanitis (Entzündungen von Vorhaut und Eichel) [17], weniger Harnwegsinfekte, keine aufgrund von Phimose schmerzhaften Erektionen in der Pubertät, weniger sexuell übertragbare Krankheiten, Verhinderung von Peniskrebs bei mittelalten und auch bei älteren Männern sowie Abnahme urologischer Probleme und Infektionen (übersichten in [2, 18, 30, 44, 47, 49]. In den verschiedenen Lebensaltersstufen kommen also unterschiedliche Vorteile zum Tragen.

Neonatologen und Kinderärzte neigen dazu, immer nur die möglichen Probleme des Eingriffs selbst zu betrachten. Viele Urologen dagegen, die mit den Problemen unbeschnittener Männer zu tun haben, können nicht verstehen, warum nicht alle Neugeborenen beschnitten werden [47, 48]. Beschneidungen bei älteren Kindern haben [seit dem Rückgang der Neugeborenenbeschneidung in Australien, Anm. d. ü.] zugenommen, doch mit zunehmendem Alter sind auch die Risiken, z. B. der Narkose, höher. Daraus schließt Dr. Schoen, "Angesichts des heutigen Wissens um die lebenslangen medizinischen Vorteile einer Beschneidung im Neugeborenenalter kann man sich nur dafür entscheiden" [48]. In einem Brief an Dr. Terry Russell in Brisbane äußert sich Dr. Schoen 1994 kritisch über eine Organisation namens 'NOCIRC' wegen ihrer "Verdrehungen, Lächerlichmachungen und Behauptungen, mit denen sie versuchen, Medizin, Politik und öffentlichkeit zu beeinflussen", und gerade in einer Zeit zunehmenden Wissens um die Vorteile der Beschneidung seien die Aktivitäten dieser Gruppe immer extremer und hanebüchener geworden. So wurde z. B. die Vorhautbeschneidung mit der verstümmelnden sogenannten weiblichen Beschneidung in Teilen Afrikas verglichen, so als würde der gesamte Penis abgeschnitten. Als im Jahre 1993 in den USA bereits wieder 80% aller neugeborenen Jungen beschnitten wurden, folgerte Dr. Schoen, "vielleicht hat sich 'NOCIRC' entschlossen, ihre 'Botschaft' nach Australien zu exportieren, da sich ihre Anstrengungen in den USA als zunehmend wirkungslos erweisen". Weiterhin bemerkte Schoen, daß die Task Force on Circumcision of the American Academy of Pediatrics und er selbst als Vorsitzender von der genannten Gruppierung mit falschen und irreführenden Informationen geradezu bombardiert worden sei. Eine weitere derartige Gruppe ist 'UNCIRC', die Beschneidungen rückgängig machen will, indem z. B. die Haut am Penisschaft extrem gedehnt wird. Die behaupteten Vorteile in Form von "erhöhter Reizempfindlichkeit" seien in Wahrheit Folge der Reibung loser Haut (sei es echte oder künstliche Vorhaut) auf der feuchten und verschwitzten Eichel im unerregten Zustand und hätten nichts zu tun mit einer Zunahme von Empfindungsrezeptoren. Nach Angaben von Männern, die als Erwachsene beschnitten wurden, sind die Reizempfindungen des beschnittenen Penis beim Sex praktisch identisch, wenn nicht sogar besser als mit Vorhaut.

Eine weitere medizinische Autorität auf diesem Gebiet ist Dr. Tom Wiswell, der erklärt, "Als Kinderarzt und Neonatologe bin ich Anwalt der Kinder und will nur das beste für sie. über viele Jahre war ich ein ausgesprochener Gegner der Beschneidung [...] Nach und nach habe ich meine Meinung geändert" [56, 57]. Ihm ist zugute zu halten, sich eine offene Einstellung bewahrt zu haben, die es ihm ermöglichte, jedes Für und Wider unvoreingenommen abzuwägen - und seine Meinung tatsächlich geändert zu haben.

Die mit der Beschneidung oder Nicht-Beschneidung verbundenen Risiken für neugeborene Jungen waren ebenfalls Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen. Zwischen 1980 und 1985 wurden von 136.000 Jungen, die in Krankenhäusern der US Army geboren wurden, 100.000 beschnitten; bei 193 davon (0,19 %) traten Komplikationen ohne Todesfolge auf [58]. Unter den 36.000 Jungen, die nicht beschnitten wurden, traten bei 0,24 % Komplikationen auf, und zwei Jungen starben [58]. Bei 11.000 Beschneidungen im New York's Sloane Hospital kam es im Jahre 1989 nur zu 6 Komplikationen, darunter kein Todesfall [44]. Es konnten auch keine psychologischen Folgen der Beschneidung Neugeborener nachgewiesen werden [46]. Erhöhte Cortisonspiegel während und kurz nach dem Eingriff deuten darauf hin, daß das unbetäubte Baby von der Prozedur zwar etwas mitbekommt. Diesem kurzzeitigen Schmerz muß jedoch der lebenslange Gewinn der Beschneidung in Form verringerter oder verhinderter Probleme gegenübergestellt werden. örtlich betäubende Salben und andere Maßnahmen scheinen die Unannehmlichkeiten des Eingriffs zumindest teilweise lindern zu können; einige Babys zeigen jedoch selbst ohne jede Betäubung kein Anzeichen von Schmerz oder Unwohlsein.

Selbst Beschneidungsgegner betonen, daß eine lebenslange Penishygiene unabdingbar ist. Damit wird zugegeben, daß sich unter der Vorhaut etwas Schädliches oder Unangenehmes abspielt. Eine Studie an englischen Schuljungen kam zu dem erschreckenden Ergebnis, daß Penishygiene praktisch nicht existiert [44]. Zudem schreibt Dr. Terry Russel im Medical Observer, "Welcher Mann kümmert sich nach einer Nacht der Leidenschaften wohl um seine Penishygiene, bevor er herumrollt und schnarchend einschläft (während sich in dem warm-feuchten Milieu unter seiner Vorhaut die Bakterien vermehren)" [44].

Bei einer Elternbefragung im Sydney Hospital zu den Gründen der Beschneidung neugeborener Jungen gaben 3 % religiöse Gründe an, 1-2 % medizinische Gründe, und der Rest nannte Gründe wie "damit er wie sein Vater aussieht" oder daß ein oder beide Elternteile die Beschneidung wünschten [16]. Bei der Untersuchung in dieser Klinik erwiesen sich 62 % der Männer als beschnitten. Von allen untersuchten Männern waren 95 % europäischstämmige Weiße, und von den jüngeren wie älteren Männern waren etwas gleich viele beschnitten. Aus Adelaine wurde ein nahezu gleich großer Anteil Beschnittener gemeldet, 55 % der jüngeren Männer waren beschnitten. In England dagegen, wie in den meisten europäischen Ländern, liegt der Anteil bei nur 7-10 %; in den USA lag, wie oben erwähnt, der Anteil immer schon höher als in Australien [16].